Der Kriseninduzierte Bildungsprozessansatz (KiBa)
Entwickelt worden ist der Kriseninduzierte Bildungsprozessansatz (KiBa) im Rahmen des bildungswissenschaftlichen Forschungsprojektes (ELaD). Dabei werden Menschen in institutionellen Kontexten (z.B. Studierende, in sozialen Berufen Tätige) begleitet, um mittels professioneller Unterstützung durch einen Prozess der „bildenden Erfahrung“ zu gehen. Als besonders günstig haben sich Phasen der Um- und Neuorientierung im Lebenslauf erwiesen. Das Setting ist triadisch gestaltet. Zunächst werden die individuellen, ggf. auch institutionellen Voraussetzungen geklärt, wird der Gesamtablauf des Prozesses in seinen Phasen erläutert und wird eine spezifische Einschätzung des „Ist-Zustandes“ vorgenommen. Im Hauptteil werden Beispiele für Umdeutungen und Neuperspektivierungen eines gemeinsam ermittelten „Themas“ (wie z.B. das Nichthinterfragen von Expert.innen-Meinungen, das Gefühl, sich in einem endlosen „Hamsterrad“ zu bewegen, der fehlende Mut, Routinen zu durchbrechen usw.) entworfen, gedanklich durchgespielt, emotional geprüft und – in mehreren Feedbackschleifen – handelnd umgesetzt. Die Abschlussphase beinhaltet ein gemeinsames Innehalten und die Rückschau auf den Gesamtprozess.
Der zentrale Fokus liegt auf der – als befreiend erlebten – Öffnung für neue Sichtweisen, dem „Releasing“, und den daraus resultierenden neuen Handlungsmöglichkeiten. Infrage gestellt werden müssen hierbei alte Gewohnheiten, individuelle wie auch kollektiv vorhandene Glaubensmuster.
Erst auf diese Weise erweitert sich das Handlungsspektrum und kann aus vorgängigen – und tendenziell reaktiven – Verhaltensweisen ein in zunehmendem Maße freieres Handelns erwachsen. Gekennzeichnet ist der Prozess durch eine Vielzahl von kleinen Schritten, die in ihrem Zusammenspiel zu einer tiefgreifenden Veränderung von Selbst- und Weltbezügen im Denken und Handeln führen.
Embedded Learning als Dialogkultur (ELaD)
Anlass für das Projekt ist die Entwicklung und Umsetzung eines innovativen Studiengangkonzepts für einen forschungsorientierten Masterstudiengang, der – mit einer Laufzeit von 10 Jahren – auf einer hohen Eigenverantwortlichkeit der Studierenden bei gleichzeitig hohen Selbstlernanteilen fußt. Angestrebt wird die Entwicklung einer neuen Lern- und Bildungskultur, die auf zwei Grundpfeilern basiert: dem Konzept des ‚Embedded Learning‘ und der Entwicklung einer Dialogkultur.
In diesem Rahmen erhalten Forschung und Theorien kritisch reflektierende Instrumente und Methoden einen hohen Stellenwert und wird über bislang frontal gesteuerte Diskussionen hinausgehend die Eigeninitiative von Studierenden in den Mittelpunkt gestellt. Das heißt: Die klassischen Instruktionsansätze werden verlassen, und es wird Wert gelegt auf forschendes Lernen im Sinne der „Beunruhigung, des Zögerns, des Zweifelns“ als Auslöser für Reflexionsprozesse.
Im Zentrum der so verstandenen reflexiven Lern- und Bildungskultur steht also die Verunsicherung der Lernenden durch bislang unbekannte Konzepte und/oder Theorien, durch neue Sichtweisen, alternative Herangehensweisen und Fragestellungen an (scheinbar) bekannte Themen und Probleme. Bevorzugt wird ein gegenüber einfachen Lösungsangeboten wie auch einer bloßen Outcome-Orientierung kreativer, kontingenzbewusster und kritischer Umgang mit der Vielfalt an Wissensangeboten als notwendiger Bestandteil von Bildungs- und Professionalisierungsprozessen – nicht zuletzt im Sinne der demokratiestützenden und -entwickelnden Verantwortungsübernahme in und für plurale Gesellschaften.
Das heißt zugleich: Eine durch kontextuierende Arrangements (embedded learning) angestoßene Qualitätsentwicklung erweitert die herkömmliche Perspektive einer durch Rechenschaftspflicht gekennzeichneten Qualitätskontrolle (top down) und wird als Chance für neue Lernformen, den dialogischen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden und die ‚bestmögliche‘ Förderung der Studierenden zu in gesellschaftlichen Kontexten verantwortlich und nachdenklich handelnden professionellen Akteuren begriffen.
Verbundprojekt I: „Gesundheitsbildung qua Reflexion und Mythenarbeit (ReMy)“
Als eine der in Zukunft wichtigen Aufgaben im Rahmen einer reflexiven Gesundheitsbildung kann die „Arbeit am Mythos“ bezeichnet werden. Die in diesem Zusammenhang zu initiierenden Bildungsprozesse betreffen die frühe Kindheit und das Schulalter ebenso wie auch den Umgang mit älteren und ältesten Menschen in der Gesellschaft. Für die Bereiche Frühpädagogik und (Grund-)schulen liegen erste (Forschungs-)Ergebnisse, etwa zur Bildung ersten und zweiten Grades oder zur sog. RAVA-Strategie für Schulen vor.
Ebenso wichtig ist es, die Aus-, Fort- und Weiterbildung in gesundheitsbezogenen Handlungsfeldern rückzubinden an ein neues Professionalitätsverständnis, an kritische, die – ganzheitliche – Wahrnehmung von Subjekten sensibilisierende und stärkende (Bildungs-)Prozesse, welche die an Vielfalt, Individualität und Menschenwürde orientierte Neugestaltung von Gesellschaften (Gemeinschaften) ebenso beinhalten wie auch den wertschätzenden Umgang mit anderen Lebewesen und der Natur. Mit anderen Worten: Gesundheitsbildung kann in diesem Sinne sehr wohl als Aufforderung begriffen werden, „allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit“ (WHO, Ottawa-Charter, 1986) und eine „Transformation der Welt zum Besseren“ (UN, Agenda 2030, 2015) zu ermöglichen, ohne dem Diktat einer Pflicht zur Gesundheit oder einseitigen Vorstellungen aus den Bereichen von Enhancement und einer transhumanistischen Weltgestaltung zu unterliegen.
Die Begleitung von individuellen Bildungsprozessen in unterschiedlichen Phasen des Lebenslaufs wie auch in gesellschaftlichen Krisenzeiten wird hierbei für ebenso möglich wie auch wichtig erachtet.
Siehe hierzu die Beiträge zur Frühpädagogik (PDF) und zur Grundschule (auch als PDF).
Teilprojekt A: Professionalisierung durch Reflexion und Mythenarbeit (ProReMy)
Entgegen dem weite Teile der öffentlichen wie auch fachspezifischen Diskussionen nach wie vor beherrschenden Verständnis zeigt sich ein – bereits während des Studiums erwerbbares – professionelles Gesundheits- und Krankheitsverständnis nicht in einem dogmatischen, sondern in einem ‚verflüssigten‘ Umgang mit Fragen der Gesundheit und Krankheit. Dazu gehören auch Fragen danach, warum welches Gesundheitsziel angestrebt wird, warum der Umgang mit dieser oder jener Krankheit so angstbesetzt ist, warum Kranksein als Zustand abgelehnt wird.
Um diesen und weiteren Fragen auf ‚die Spur‘ zu kommen, bedarf es der grundlagentheoretischen und anwendungsorientierten Forschung („Forschungsarbeit“). Das heißt, es muss zunächst ein begriffs- und theoriebezogenes Inventar (hier: zur Professionalität, zum Mythos usw.) entwickelt werden, auf deren Basis die Möglichkeiten der Professionalisierung in gesundheitsbezogenen Handlungsfeldern näher analysiert werden können.
Für Professionalisierungsprozesse während des Studiums lässt sich zeigen, dass die Rückbindung von Studieninhalten an die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie, an die Reflexion eigener Gesundheits- und Krankheitsverständnisse einen wichtigen Ansatzpunkt darstellt. So kann der flexible Umgang mit etwaigen starren Denk- und Handlungsmustern geübt werden („Eigenarbeit“). In der Simulation von Situationen aus der späteren Praxis kann zugleich ein situations- bzw. falladäquater Umgang mit der jeweiligen Klientel, mit Fragen von Gesundheit und Krankheit vorbereitet werden („Klientenarbeit“) – dies nicht als Ziel, wohl aber als Voraussetzung für professionelles Handeln, deren Anwender sich der eigenen Arbeit gegenüber permanent reflexiv und evaluativ zu verhalten in der Lage sind.
Im Übergang zum Nachfolgeprojekt BiReMy sind des Weiteren in der gesundheitspädagogischen/-bezogenen Praxis tätige Akteure aus verschiedenen Berufsgruppen auf ihre Denk- und Handlungsstrategien (anhand von Arbeitsberichten, Protokollen, Portfolios) hin untersucht worden. Die in diesem Zusammenhang rekonstruierten mythischen Vorstellungen können auf einer – für die Weiterentwicklung des Professionalitätsverständnisses fruchtbaren – Skala von Macht- und Ohnmachtorientierung des Denkens abgebildet werden. Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse sind erste Modulbausteine für die Aus- und Weiterbildung an Hochschulen entwickelt worden.
Teilprojekt B: Bildungsprozesse initiieren durch Reflexion und Mythenarbeit (BiReMy)
Zugrunde liegt dem Projekt ein Professionalitätsverständnis, das biografische Reflexionen und überhaupt Reflexivität als Bewusstheit über das eigene Tun als Schlüsselkompetenz von Professionalität auffasst. Im Rahmen des Projekts wird nach den Möglichkeiten gefragt, in der Verschränkung von Forschungs- und Anwendungsperspektiven Bildungspotentiale in den Ausbildungsprozessen für gesundheitsbezogene Tätigkeitsfelder, aber auch bei bereits in gesundheitsbezogenen Handlungsfeldern tätigen Personen zu identifizieren, die einen professionelleren Umgang mit Fragen der Gesundheit und Krankheit ermöglichen. Der Blick auf die eigene gesundheits-/krankheitsbezogene Biografie wird hierbei als unabdingbar betrachtet. Wichtige Fragestellungen in diesem Zusammenhang lauten: Lassen sich mythische Figurationen in erzählten biografischen Geschichten rekonstruieren und, falls ja, wie sehen diese konkret aus und welchen Stellenwert können die in der Vielfalt ihrer Ausdrucksgestalten herausgearbeiteten biografischen Muster bzw. Strukturen sowie die ggf. daraus ableitbaren mythischen Figurationen für Prozesse der Professionalisierung, das heißt: einen reflexiven und mythenbewussten Umgang mit sich selbst und der Klientel, einnehmen.
Zu problematisieren ist vor diesem Hintergrund (1) ein auf individualisierende Diagnosen und individuelle Defizite bezogenes Verständnis, das Krankheit auf eigenes Versagen zurückführt, (2) ein Gesundheitsverständnis, das Gesundheit durch die richtige Medikation, durch Technik und Techniken als herstellbar, als „machbar“ betrachtet, (3) der Wunsch, zu immer „mehr Gesundheit“ zu gelangen, trotz des Wissens, dass der wissenschaftliche bzw. der technische Fortschritt permanent neue Risiken produziert, (4) die Folgen eines Gesundheitsdiskurses, der in seiner massiven Ausrichtung auf das Gesundheitsideal Krankheiten tendenziell verdrängt und der die Tatsache des „Krankseins“ von Menschen als einen anthropologischen Tatbestand aus dem Blick verliert.
Verbundprojekt II: „Entwurf einer neuen geisteswissenschaftlichen Methodologie (GeMeth)“
Basierend auf der bildungswissenschaftlichen Annahme einer weitreichenden Plastizität („Bildsamkeit“) von Menschen sowie unter Einbeziehung Disziplinen übergreifender Perspektiven werden im Verbundprojekt heuristische Prämissen untersucht hinsichtlich der Möglichkeiten einer Sensibilisierung der individuellen Wahrnehmung, der Transzendierung bisheriger Wahrnehmungsweisen sowie der Überwindung gesellschaftlich-kollektiv erworbener Prägungen und Glaubensmuster. Ausgelotet werden auf diesem Wege die Möglichkeiten einer methodologischen Öffnung gegenüber derzeit gängigen, empiristisch verkürzten Wissenschaftsverständnissen innerhalb der (deutschen) Erziehungswissenschaft.
Das in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft angesiedelte Forschungsprojekt gliedert sich in drei Teilprojekte, die sich (a) mit den Möglichkeiten der Wahrnehmungsänderung von Menschen, (b) den Besonderheiten der empirischen Sozialwissenschaften in der Gegenwart und (c) dem Entwurf einer neuen – wahrnehmungsbasierten – Methodologie innerhalb der (Geistes-)Wissenschaften, hier: für ein zeitgemäßes Verständnis von „geisteswissenschaftlicher Pädagogik“, befassen.
Teilprojekt A: Die Bildsamkeit der Wahrnehmung (BilWa)
Als erstes von drei Teilprojekten befasst sich „Die Bildsamkeit der Wahrnehmung“ mit der Frage, welche Bedeutung der Wahrnehmung von Forscherinnen und Forschern im Rahmen der vorherrschenden Wissenschaftsverständnisse zukommt und welche Bedeutung der Wahrnehmung und ihrer Veränderung unter Bedingungen eines innovativen methodologischen Verständnisses zukommen könnte.
Ein Projekt, das unter dem Vorzeichen antritt, die Frage der Bildsamkeit von Wahrnehmung reflexiv, das heißt in Rückwendung auf den eigenen Anspruch bildungs- und wahrnehmungsbezogen klären zu wollen, kann als ein besonderes angesehen werden, sofern es den geltenden Spielregeln wissenschaftlicher Legitimität nicht länger zu folgen bereit ist. So fordern jene Spielregeln gerade das In-den-Hintergrund-Treten der eigenen, weil bloß subjektiven Wahrnehmung und ein ‚Abarbeiten‘ an der Vielzahl der in den Kanon der (Geistes-)Wissenschaften aufgenommenen Theorien und methodischen Zugänge, die im machtvollen Spiel um Bedeutsamkeit und gesellschaftliche Positionierung ausgewählt werden.
Die Neuheit der hier zu postulierenden Methodologie besteht insofern nicht in der theorie- oder methodenbezogenen Rehabilitierung der bereits in unzähligen Variationen vorgetragenen, an Texten oder dem Leben orientierten Verständnisse von Hermeneutik, sondern vielmehr in einem – wahrnehmungs- wie reflexionsbasierten – Verständnis von Wissenschaft als ein nie endender, inter-subjektiv zu gestaltender (Forschungs-)Prozess der themenbezogenen Ausrichtung bei gleichzeitiger Offenheit des Geistes und der Bereitschaft, die Illusionen und Identifikationen (mit) einer abstrakten und hybriden, auf Reputation und Selbsterhalt gebauten Wissenschaft als nicht wesentlich aufzugeben.
Ausgehend von dem in BiReMy entwickelten Modell einer transdisziplinären Bildungswissenschaft wird in Teilprojekt A zunächst die einschlägige wissenschaftliche wie auch Ratgeberliteratur zu den Themen Wahrnehmungsveränderung / Veränderung frühkindlicher Glaubenssysteme / -muster u.ä. gesichtet und ausgewertet.
Darüber hinaus schildern ausgewählte Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Erfahrungen mit Techniken der Meditation, Tiefenentspannung u.ä. hinsichtlich der o.g. Veränderungen der Wahrnehmung (visuell, auditiv, emotional) in Form von Tagebucheinträgen (Portfolios).
Eine Auswertung der Tagebucheinträge erfolgt mit Hilfe unterschiedlicher methodischer Zugänge und Rekonstruktionen.
Beiträge
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In den Spiegel schauen – Friedenswissenschaftliche Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Ein Lesebuch mit Texten von Egon Spiegel
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(Un)pädagogische Visionen für das 21. Jahrhundert
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